LeserIn-Kommentar zur ÖPNV-Diskussion auf Sylt: Wer definiert das Nahverkehrskonzept?

Natürlich geht es beim Thema „Fahrscheinloser ÖPNV“ um solide Kalkulationen (für die Gemeinden und für das Busunternehmen). Es ist gut, wenn Politik und Auftragnehmer vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Aber vor all dem geht es darum, dass die Politik auf Sylt ein zukunftsweisendes Nahverkehrskonzept definiert und die Verantwortung übernimmt für die Zukunftsgestaltung und diese nicht an ein Privatunternehmen delegiert, das seine eigenen Bedingungen stellt. Ich warte gespannt auf den Beschlussvorschlag für die nächste Sitzung des LZV nächste Woche. Unklar ist bislang, wie der Nahverkehrsplan auf der Insel eigentlich aussieht. Kann da denn schon klar sein, wer in der nächsten Periode die ÖPNV-Konzession bekommt?
Ich bin gespannt, wie also die Inselpolitik ihre Verantwortung übernimmt für den Klimaschutz, die Verantwortung für den Erholungswert der Insel, die Verantwortung auch für Mobilitätsmöglichkeiten für Sylterinnen und Sylter, die auf den Bus angewiesen sind oder ihn bewusst nutzen wollen (Daseinsfürsorge). Also für das Streckennetz, den Antrieb der Busse, die Taktung, die Preisgestaltung – für einen Zeitraum von 8 Jahren.
Im Rheinland habe ich jahrelang für etwas mehr als 50 Euro monatlich ein Jahresabo für sämtliche Verkehrsmittel im Nahverkehr gehabt, gültig in der gesamten Großstadt – Fahrradmitnahme inklusive. Abends und am Wochenende konnte ich noch eine weitere Person kostenfrei mitnehmen und im gesamten Verkehrsverbund Rhein-Ruhr unterwegs sein – ohne zusätzliche Kosten. So was geht, wenn die öffentliche Hand Verantwortung übernimmt. Und hier auf der Insel haben wir sogar die großartige Möglichkeit, den ÖPNV weitgehend über die Kurtaxe zu finanzieren.
Nur in den seltensten Fällen kann ein lokaler ÖPNV kostendeckend – eigenwirtschaftlich – betrieben werden. Sichert ein Unternehmen einen ÖPNV ohne öffentliche Zuschüsse zu, hat es weitgehende Entscheidungsmacht. Verständlich, dass ein Busunternehmer sich da nicht rein reden lassen will. Es hat unternehmerische Entscheidungen zu treffen, ob diese auch ökologisch oder sozial sind, liegt dann nicht mehr im Einflussbereich der politischen Gremien. Diese aber haben die Aufgabe, auch andere Interessenlagen im Blick zu halten und bereits beschlossene (Verkehrs-)Leitbilder umzusetzen.
Entscheidet sich die Politik dafür, selber mitbestimmen zu können und neue Ideen und Innovationen über die Kurkarte zu finanzieren, wird man um eine öffentliche Ausschreibung wohl nicht herumkommen.
Dadurch aber könnte auf Sylt Zukunft demokratisch gestaltet und Qualität klar definiert werden – und somit weiter an der Umsetzung der Verkehrs- und Tourismusleitbilder gearbeitet werden.
Dabei können wir lernen aus den Erfahrungen von Regionen, wo der fahrscheinlose ÖPNV bereits erprobt wurde und wird. Die Art der Gegenfinanzierung zum Beispiel ist ein wichtiger Faktor. Unter anderem im bereits zitierten belgischen Hasselt wurde das für die Fahrgäste kostenfreie Busfahren zum vollen Erfolg. Ein mutiger Bürgermeister gewann mit einem innovativen Verkehrskonzept die Wahl und machte „Nägel mit Köppen“. Die Menschen stiegen vom Auto um in den Bus. Der bis dato mehrspurige Innenstadtring wurde zum „grünen Boulevard“, radfahrer- und fußgängerfreundlich. Nach 15 Jahren hatte sich der Umsatz in der Innenstadt verdreifacht und die Menschen ließen ihre Autos zuhause.
Aus den bisherigen Befragungen in den Sylter Facebook-Gruppen (sowie aus anderen Umfragen z.B. von ADAC und dem Verkehrsclub Deutschland) können Hypothesen gewonnen werden, was Menschen zum Umstieg auf den Bus bewegen wird. Es sind dies wahrscheinlich eine höhere Taktung, die Erreichbarkeit der Haltestelle, dass der Bus auch dahin fährt wo man hin will und dass er schnell ist, möglichst schneller als das Auto – und nicht so überfüllt. Dass er verlässlich auch Menschen im Rollstuhl mitnimmt und die Geldbörse schont. All das könnten Kriterien einer Ausschreibung sein. Der Idee mit der eigenen Busspur von Herrn Paulsen (SVG) ist in diesem Zusammenhang unbedingt nachzugehen. Und natürlich endlich ein zukunftsweisendes Radfahrkonzept umzusetzen, weitere Ideen für förderliche straßenbauliche Maßnahmen liegen auf dem Tisch.
Die Möglichkeit des Busfahrens auf Kurkarte verringert den Geräuschpegel, den CO2-Ausstoß und erhöht den Erholungswert der Insel. Und spart zudem allen Zeit und Nerven – auch denen, die weiterhin mit dem Auto unterwegs sein müssen.
Margot Böhm, List