Nationalparkthemenjahr 2018: „Muscheln und Schnecken“ , Folge 4

100.000 Muschelarten gibt es auf der ganzen Welt, nur 15 davon im Nationalpark Wattenmeer. Trotzdem spielen die Weichtiere mit der harten Schale eine zentrale Rolle in diesem Ökosystem. Ihre wöchentliche Filterleistung entspricht dem gesamten Wasservolumen des Wattenmeeres, sie sind also eine große biologische Kläranlage. Anlässlich des Themenjahres „Muscheln und Schnecken“ wird Biologe Rainer Borcherding monatlich über die Welt der Weichtiere im Nationalpark Wattenmeer berichten.

 

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Pfeffermuschel, Foto R.Borcherding

 

Wo der Wattenmeerschlick am tiefsten ist, lebt eine durchaus häufige, aber kaum bekannte Muschel: Die Große Pfeffermuschel. Sie hat – wie ihr Name verrät – einen unangenehm scharfen Beigeschmack, weshalb sie nur in Notzeiten von Menschen gegessen wurde. Ihr Lebensraum sind die Schlickwatten an Europas und Nordafrikas Küsten. Hier steckt sie etwa zehn Zentimeter tief im Boden vergraben. Ihre relativ dünnen Schalen sind flach und rundlich und meist kalkweiß, mitunter auch gelblich. Allerdings können sie durch den schwarzen Schlickboden auch grau-blau bis tiefschwarz verfärbt sein.

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Spuren der Pfeffermuschel auf dem Wattboden

 

Wie fast alle Muscheln schlürft die Pfeffermuschel ihre Nahrung zusammen mit dem Wasser in sich hinein. Allerdings begnügt die Art sich nicht allein mit dem Plankton, das im Wasser verteilt ist, sondern sie frisst lieber Nahrhafteres. Schon vor Jahrmillionen hat die Art daher den Staubsauger erfunden: Ihr Einströmsipho, also der Hautschlauch, durch den sie Wasser einsaugt, ist beweglich und bis zu 30 Zentimeter lang. Die Muschel nutzt diesen Sipho, um den frisch auf der Wattoberfläche abgelagerten Schlick rund um ihren Wohnort einzusaugen (zu „pipettieren“). Auf dem Wattboden entstehen sternförmige Furchen, wenn die Muschel die nahrhafte oberste Schlickschicht mit ihrem Sipho einschlürft. Sind die verdaulichen Anteile entnommen, spuckt sie die Reste als kleine Schlickfontäne möglichst weit ins Wasser hinaus, damit die Strömung den Schlick fortspült.

 

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Pfeffermuschel in Lebensstellung Foto: R.Borcherding

Da die Pfeffermuschel etwa zehn Zentimeter tief vergraben lebt, hat sie recht wenige Fressfeinde. Nur der Große Brachvogel und manchmal ein Austernfischer kommen an die erwachsenen Muscheln heran. Ein gewisses Risiko besteht allerdings immer: Fische, Krebse und diverse Vögel schnappen gerne nach der beweglichen Siphospitze und beißen sie ab. Erwischen sie nur den letzten Zentimeter des Siphos, kümmert dies die Muschel wenig, denn sie kann den Sipho nachwachsen lassen. Wird ein längeres Stück abgebissen, ist sie einige Tage lang traumatisiert und schlürft nur sehr vorsichtig mit dem verkürzten Sipho. Falls sie allerdings gerade großen Hunger hat, steigt sie im Boden etwas empor, um trotz des verkürzten Siphos weiterhin einen großen Aktionsradius beim Schlicksaugen zu haben. Das erhöht jedoch ihr Risiko, von einem Vogel erstochert und gefressen zu werden.

 

Wenn sie Glück hat, kann die Pfeffermuschel 15 bis 18 Jahre alt und knapp sechs Zentimeter lang werden. Sie kommt mit sehr wenig Sauerstoff aus, verschwindet aber bei starker Wasserverschmutzung. 1980 bis 1992 fehlte die Art in Schleswig-Holstein, ist inzwischen aber wieder in allen Schlickwatten anzutreffen. Wenn man bei Sonnenschein leise vor einer Pfütze im Schlickwatt steht, sollte man schon bald die Staubsaugerrüssel in Aktion beobachten können.

 

Rainer Borcherding, Schutzstation Wattenmeer